Sehr geehrte Mandantin, sehr geehrter Mandant,
ich möchte Sie nachfolgend wieder über neue Entscheidungen aus dem steuerlichen Bereich informieren. Diesmal lesen Sie u. a., dass die Eigenbelastung bei Krankheitskosten u. U. verfassungswidrig ist.
Unternehmer und Selbständige
Investitionsabzugsbetrag: Angaben sind im Klageverfahren nachholbar
Hintergrund: Ein Unternehmer kann für zukünftige Investitionen einen sog. Investitionsabzugsbetrag bilden, der 40 % der voraussichtlichen Investitionssumme beträgt und vom Gewinn abgezogen werden kann. Voraussetzung ist u. a., dass er die Investition innerhalb der nächsten drei Jahre beabsichtigt und das künftige Wirtschaftsgut seiner Funktion nach benennt. Zudem muss er die Höhe der voraussichtlichen Anschaffungskosten angeben.
Streitfall: Eine GmbH gab zunächst keine Steuererklärungen für das Jahr 2008 ab, sodass das Finanzamt Schätzungsbescheide erließ. Im Einspruchsverfahren reichte die GmbH dann Steuererklärungen ein und machte einen Investitionsabzugsbetrag geltend. Das Finanzamt wies die GmbH darauf hin, dass die Angaben der GmbH unzureichend seien. Erst im Klageverfahren vervollständigte die GmbH die gesetzlich geforderten Angaben. Das Finanzamt hielt dies für verspätet.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) erkannte den Investitionsabzugsbetrag jedoch mit folgender Begründung an:
- Wird der Investitionsabzugsbetrag mit der Steuererklärung des Abzugsjahres geltend gemacht, ist auf eine Investitionsabsicht zu schließen. Dies gilt auch dann, wenn die Steuererklärung erst im Einspruchsverfahren gegen einen Schätzungsbescheid abgegeben wird.
- Zwar muss der Unternehmer den Investitionsabzugsbetrag an sich in seiner Steuererklärung geltend machen. Die erforderlichen Angaben zur Funktion des Wirtschaftsguts und zu den voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten kann er aber auch noch im Einspruchs- oder Klageverfahren nachholen, da das Gesetz keine zeitliche Grenze für die Angaben vorsieht.
Fazit: Wurde eine Investition bereits getätigt, hielt die Finanzverwaltung es bisher grundsätzlich für ausgeschlossen, dass der Investitionsabzugsbetrag hierfür noch in Anspruch genommen werden kann. Dem widersprach nunmehr der BFH. Er stellte klar, dass es nicht von Bedeutung sein kann, ob die Investition im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung tatsächlich schon vorgenommen wurde.
Das Urteil des BFH erleichtert damit die Bildung eines Investitionsabzugsbetrags, weil nicht erforderlich ist, dass die Steuererklärung, in der der Investitionsabzugsbetrag in Anspruch genommen wird, pünktlich abgegeben wird. Außerdem können erforderliche Angaben auch noch nachgeholt werden, und dies sogar noch im Klageverfahren vor dem Finanzgericht. Allerdings wird dann der Steuerpflichtige regelmäßig die Gerichtskosten tragen müssen.
Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften
GmbH-Beteiligung: Veräußerungsverluste sind nur anteilig abziehbar
Hintergrund: Dividenden sowie Erträge aus der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen an Kapitalgesellschaften waren bis zum Jahr 2008 nur zur Hälfte steuerpflichtig; seit 2009 sind sie zu 60 % steuerpflichtig. Im Gegenzug sind laut Gesetz aber auch die damit zusammenhängenden Ausgaben nur zur Hälfte (bis 2008, sog. Halbabzugsverbot) bzw. zu 60 % (seit 2009) als Werbungskosten abziehbar.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Halb- bzw. Teilabzugsverbot allerdings dann ausgeschlossen, wenn der Anteilseigner niemals Einnahmen aus seiner Beteiligung erzielt hat. Denn in diesem Fall besteht mangels steuerbegünstigter Einnahmen kein Grund, die Ausgaben zu kürzen. In zwei Entscheidungen hat der BFH seine Rechtsprechung jetzt für den Fall konkretisiert, dass der Anteilseigner zwar niemals Dividenden, aber einen Veräußerungserlös erzielt hat.
Streitfall 1: Ein Anteilseigner beteiligte sich im Jahr 2000 an einer GmbH mit einer Einlage von 12.500 €. In der Folgezeit gewährte er der GmbH auch diverse Darlehen. Im Jahr 2002 verkaufte er seine Beteiligung zu einem Kaufpreis von 10.000 € und verzichtete auf eine Darlehensforderung in Höhe von 65.000 €. Dividenden hatte er nie erhalten. Es ergab sich so ein Verlust von 67.500 €, den er steuerlich geltend machte. Das Finanzamt berücksichtigte den Verlust hingegen nur zur Hälfte, weil im Jahr 2002 das Halbabzugsverbot galt.
Streitfall 2: Ein GmbH-Gesellschafter veräußerte seine Beteiligung zu einem symbolischen Kaufpreis von 1 €, der tatsächlich nicht gezahlt wurde. Er hatte nie Dividenden erhalten. Auch er machte seinen Verlust in voller Höhe geltend.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab nunmehr im Fall 1 dem Finanzamt, im Fall 2 hingegen dem Steuerpflich¬tigen recht. Ihre Entscheidungen begründeten die Bundesrichter dabei wie folgt:
- Das Halb- bzw. Teilabzugsverbot greift, falls der Anteilseigner entweder Dividenden oder einen Veräußerungserlös erhalten hat.
- Das Halb- bzw. Teilabzugsverbot gilt somit auch dann, wenn der Anteilseigner zwar niemals Dividenden, wohl aber einen Veräußerungserlös erhalten hat, der unter den Anschaffungskosten liegt. Deshalb war im Fall 1 der Verlust nur zu 50 % zu berücksichtigen.
- Ausnahmsweise gilt das Halb- bzw. Teilabzugsverbot aber nicht, wenn der Anteilseigner weder Dividenden noch einen Veräußerungserlös erzielt hat. Hierzu zählt auch der Fall, dass nur ein symbolischer Kaufpreis von 1 € vereinbart wird (was aus buchungstechnischen Gründen geschieht). Damit kann im Fall 2 der Veräußerungsverlust in voller Höhe steuerlich berücksichtigt werden.
Hinweise: Das Halbabzugs- bzw. Teilabzugsverbot gilt laut BFH auch dann nicht, wenn der Gesellschafter nur Dividenden bezogen hat, die dem Anrechnungsverfahren (galt bis zum Jahr 2001) unterlagen. Ab dem Veranlagungszeitraum 2011 gilt laut geänderter Ge-setzeslage das Teilabzugsverbot auch dann, wenn weder Dividenden noch ein (symbolischer) Veräußerungserlös erzielt worden ist.
Arbeitgeber/Arbeitnehmer
Firmenwagen: „Regelmäßige Arbeitsstätte“ – es kann nur eine geben
Hintergrund: „Pendlerpauschale” oder 30 Cent pro Fahrt-kilometer? Reisekosten oder doppelte Haushaltsführung? Anspruch auf Verpflegungspauschalen? Und: Zuschlag zum geldwerten Vorteil bei Nutzung eines Firmenwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte? Gemeinsam ist diesen Fragen, dass meist das Vorliegen einer „regelmäßigen Arbeitsstätte“ ihre Beantwortung beeinflusst.
In mehreren Grundsatzentscheidungen hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt seine Ansicht zu diesem Begriff geändert und das steuerliche Reisekostenrecht erheblich vereinfacht:
Streitfall 1: Ein GmbH-Geschäftsführer wohnte in H. in einer von seiner Lebensgefährtin angemieteten Wohnung. Die GmbH hatte in diesem Wohnhaus zudem einen Keller von der Lebensgefährtin des Geschäftsführers angemietet und dort ihre EDV-Anlage untergebracht. Der Sitz der GmbH befand sich in D. Der Geschäftsführer nutzte einen Firmenwagen der GmbH, den er auch für Privatfahrten verwenden durfte und behandelte die Fahrten von H. nach D. nicht etwa als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern als Dienstfahrten. Er gab dabei an, dass er jeden Morgen zunächst den Kellerraum aufsuche, um dort Wartungs- und Optimierungs¬arbeiten vorzunehmen. Das Finanzamt sah diese Fahrten jedoch als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an und erhöhte deshalb den geldwerten Vorteil aufgrund der Privatnutzung des überlassenen Pkw. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Entscheidung zum Streitfall 1: Der BFH hob die Entschei-dung des FG auf und verwies die Sache an dieses Gericht zur weiteren Aufklärung zurück. Hierbei begründeten die Bundesrichter ihre Entscheidung wie folgt:
- „Regelmäßige Arbeitsstätte“ ist allein der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers, d. h. der Ort, an dem er schwerpunktmäßig tätig wird (i. d. R. der Betrieb des Arbeitgebers).
- Da es nur einen Mittelpunkt geben kann, sind mehrere „regelmäßige Arbeitsstätten“ eines Arbeitnehmers nicht denkbar. Nur bei dieser einen „regelmäßigen Arbeitsstätte“ kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so die Fahrtkosten mindern, indem er z. B. Fahrgemeinschaften bildet.
- Arbeitet der Arbeitnehmer in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers, muss im Einzelfall ermittelt werden, wo sich der (qualitative) Mittelpunkt der Arbeit befindet.
Das FG muss daher nun aufklären, ob es sich bei dem Keller um eine Betriebsstätte der GmbH handelte. Ist dies der Fall, muss das Gericht darüber hinaus ermitteln, ob der Arbeitsmittelpunkt in der Betriebsstätte im Kellerraum in H. lag oder aber am Sitz der GmbH in D. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für eine „regelmäßige Arbeitsstätte“ jedenfalls nicht aus. Sie muss vielmehr von zentraler Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten sein. Der erhöhte geldwerte Vorteil aufgrund der Nutzung des Pkw für Fahrten zwischen H. und D. wäre nur dann gerechtfertigt, wenn dort (am Sitz der GmbH) der berufliche Mittelpunkt, also die regelmäßige Arbeitsstätte, des Geschäftsführers war.
Streitfall 2: Eine angestellte Managerin einer Supermarkt-Kette war für 15 Filialen zuständig, die sie regelmäßig mit ihrem Firmenwagen aufsuchte. Den Pkw durfte sie auch für private Zwecke nutzen. In ihrer Steuererklärung machte sie u. a. Verpflegungspauschalen geltend. Das Finanzamt berücksichtigte jedoch nur die Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab.
Entscheidung zum Streitfall 2: Der BFH hob die Entschei-dung des FG auf. Das FG muss jetzt vielmehr ermitteln, ob die Managerin einen Tätigkeitsmittelpunkt hatte (s. o. Streitfall 1). Fehlt ein Tätigkeitsmittelpunkt, übt die Managerin insgesamt eine Auswärtstätigkeit aus, und dann könnte sie die gesetz¬lichen Verpflegungspauschalen geltend machen. Anders sieht es jedoch bei den Fahrtkosten aus. Da sie mit dem Firmenwagen fährt, könnte sie diese nicht absetzen.
Streitfall 3: Ein angestellter Außendienstmitarbeiter, der seinen Firmenwagen auch privat nutzen durfte, musste jeden Arbeitstag zu Kontrollzwecken und für etwaige Absprachen zunächst in den Betrieb seines Arbeitgebers fahren. Erst anschließend fuhr er zu den Kunden; im Betrieb stand kein eingerichteter Arbeitsplatz für ihn zur Verfügung. Die Fahrten von der Wohnung zum Betrieb wurden vom Arbeitnehmer nicht mit dem gesetzlichen Zuschlag von 0,03 % pro Entfernungskilometer versteuert. Das Finanzamt meinte jedoch, dass dies erforderlich sei.
Entscheidung zum Streitfall 3: Der BFH gab dem Arbeit-nehmer recht: Eine „regelmäßige Arbeitsstätte“ besteht demnach nicht, wenn der Arbeitnehmer dorthin allein zu Kontrollzwecken fährt und keinen eingerichteten Arbeitsplatz hat. Die eigentliche berufliche Tätigkeit wird dann außerhalb des Betriebs ausgeübt. Da der Außendienstmitarbeiter keine „Arbeitsstätte“ in diesem Sinne hat, musste er folglich keinen geldwerten Vorteil aufgrund der Nutzung des Firmenwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte versteuern. Im Gegenzug kann er aber auch keine Entfernungspauschale geltend machen; auch ein Abzug der tatsächlich entstandenen Fahrtkosten ist nicht möglich.
Fazit: Der BFH ändert damit seine Rechtsprechung und erkennt bei Arbeitnehmern nur noch eine einzige „regelmäßige Arbeitsstätte“ an. „Nicht mehr als eine, u. U. auch keine regelmäßige Arbeitsstätte“: Diese Kernaussage der neuen BFH-Rechtsprechung bringt eine erhebliche Vereinfachung des steuerlichen Reisekostenrechts mit sich. Komplizierte Berechnungen des geldwerten Vorteils wegen mehrerer „regelmäßiger Arbeitsstätten“, das „Aufsplitten“ der Entfernungspauscha-le beim Aufsuchen mehrerer Tätigkeitsstätten an einem Arbeitstag und die entsprechend komplizierte Ermittlung von Verpflegungsmehraufwendungen sind künftig entbehrlich.
Alle Steuerzahler
Außergewöhnliche Belastungen: Eigenbelastung bei Krankheitskosten verfassungswidrig?
Hintergrund: Außergewöhnliche Belastungen wie beispielsweise Krankheitskosten können nur insoweit abgezogen werden, als sie die zumutbare Eigenbelastung übersteigen. Letzteres ist abhängig vom Familienstand, der Kinderzahl und dem Einkommen des Steuerzahlers.
Musterverfahren: Der Bundesverband der Lohnsteuerhil-fevereine (BDL) unterstützt nun ein Musterverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz. Es geht um die Frage, ob die Eigenbelastung bei Krankheitskosten verfassungsgemäß ist. Die Rechtsauffassung des BDL beruht im Wesentlichen auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach müssen auch die Aufwendungen eines Steuerzahlers für eine Basiskrankenversicherung zusätzlich zum Existenzmini-mum steuerfrei bleiben. Fest steht aber, dass gesetzlich und privat Versicherte bei Behandlungen immer mehr aus eigener Tasche bezahlen müssen (z. B. Praxisgebühr, Zuzahlungen zur stationären Krankenbehandlung und Rehabilitation, Eigenanteil Zahnersatz und Selbstbehalte, um Beitragsrückerstattungen zu erhalten).
Fazit: Künftig sollten daher alle selbst getragenen Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden, und zwar unabhängig davon, ob sie offensichtlich unter dem Betrag der zumutbaren Belastung liegen oder nicht. Unterbleibt dann der Abzug durch das Finanzamt ganz oder teilweise, sollte Einspruch eingelegt und unter Hinweis auf das Musterverfahren beim FG Rheinland-Pfalz das Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen beantragt werden.
Außergewöhnliche Belastungen: Kosten für Zivilprozess können steuerlich absetzbar sein
Hintergrund: Kosten für einen Zivilprozess hatte die Rechtsprechung bisher nur ausnahmsweise bei Rechts-streitigkeiten mit existenzieller Bedeutung für den Steuerzahler als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Diese Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun geändert.
Streitfall: Eine Steuerzahlerin wurde im Juli 2005 dauerhaft berufsunfähig. Sie machte bei ihrer privaten Krankenversicherung einen Anspruch auf Krankentagegeld geltend. Die Versicherung zahlte nur bis Oktober 2005, denn laut Versicherungsbedingungen endete die Leistungspflicht drei Monate nach Beginn der Berufsunfähigkeit. Vor Gericht wollte die Steuerzahlerin dann erreichen, dass ihre Krankenversicherung das Krankentagegeld weiterzahlt. Allerdings verlor sie den Prozess im Jahr 2007 und musste die Prozesskosten in Höhe von fast 10.000 € zahlen. Sie machte diesen Betrag dann in ihrer Steuererklärung für 2007 als außergewöhnliche Belastungen geltend, was der Fiskus ablehnte. Das Finanzgericht Köln (FG) wies die Klage ab.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) hält es nun allerdings für möglich, dass die Prozesskosten außergewöhnliche Belastungen sind. Voraussetzung hierfür ist, dass der Steuerpflichtige weder mutwillig noch leichtfertig prozessiert hat, sondern seine Klage oder die Klageerwiderung vielmehr Aussicht auf Erfolg hat. Dies bedeutet, dass ein Klageerfolg dabei mindestens ebenso wahrscheinlich sein muss wie ein Miss¬erfolg.
Fazit: Zukünftig können also auch Kosten für einen Zivilprozess steuerlich geltend gemacht werden, wenn dieser eine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Dies gilt nicht nur für Prozesse, die der Steuerzahler als Kläger betreibt, sondern auch wenn er verklagt wird, also Beklagter ist. Die Argumente des BFH lassen sich auch auf Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsverfahren übertragen.
Kosten für Erststudium/Erstausbildung sind vorweggenommene Werbungskosten
Hintergrund: Laut Gesetz sind Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium nur dann als Werbungskosten komplett abziehbar, wenn die Ausbildung oder das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Im Übrigen können Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung des Steuerzahlers (bei Ehepaaren pro Person) nur in Höhe von bis zu 4.000 € jährlich als Sonderausgaben abgezogen werden. In zwei Entscheidungen hat der Bundes¬finanzhof (BFH) nun den Abzug von Ausbildungs- bzw. Studienkosten außerhalb eines Arbeitsverhältnisses zugunsten des Steuerzahlers bejaht.
Streitfälle: In dem einen Fall begann der Kläger nach dem Abitur 2004 bei einer Fluggesellschaft eine Ausbildung zum Piloten. Hierfür zahlte er in 2004 fast 28.000 € an Ausbildungskosten. Nach Abschluss der Ausbildung 2006 wurde er von der Fluggesellschaft als Pilot eingestellt. Er beantragte beim Finanzamt die Feststellung eines Verlustvortrags zum 31. 12. 2004 in Höhe von fast 28.000 € mit der Begründung, die Ausbildungskosten seien als sog. vorweggenommene Werbungskosten zu berücksichtigen.
In dem anderen Fall absolvierte eine Frau 2004 ihr Abitur. Im Februar 2005 begann sie ein Medizinstudium in Ungarn, nachdem sie in Deutschland keinen Studienplatz erhalten hatte. Sie machte für 2004 und 2005 Aufwendun-gen in Höhe von ca. 11.000 € und 12.000 € geltend. Diese Beträge setzten sich aus Kosten für die Rechtsberatung im Zusammenhang mit der Studienplatzvergabe, Studiengebühren und Reisekosten zusammen. Ihren Antrag, diese Beträge als Verlustvortrag festzustellen, lehnte das Finanzamt ab.
Entscheidung: Der BFH gab beiden Studenten im Grund-satz recht und verwies die Sachen jeweils an die Finanzgerichte zur weiteren Aufklärung zurück, weil die Studienkosten im Einzelnen noch geprüft werden müssen.
Hinweise: Bereits vor zwei Jahren hatte der BFH entschie-den, dass die Kosten eines Studiums als Werbungskosten abziehbar sind, wenn dem Studium eine Berufsausbildung vorausging (sog. unechtes Erststudium). Möglicherweise ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis der Gesetzgeber auf die aktuellen Urteile mit einer Gesetzesänderung reagiert.
Bis dahin können Ausbildungs- und Studienkosten allerdings unter den nachfolgenden Voraussetzungen abgesetzt werden:
1. Es handelt sich um ein Erststudium oder um eine Erstausbildung, die nach Abschluss der Schulausbildung aufgenommen werden.
2. Ausbildung bzw. Studium stehen in einem hinreichend konkreten Zusammenhang mit der späteren beruflichen Tätigkeit des Steuerzahlers, d. h. es wird Berufswissen und nicht lediglich allgemeines Wissen vermittelt.
3. Der Auszubildende bzw. Student hat die Kosten selbst getragen. Es dürfte daher ratsam sein, dass die Ausbildungskosten selbst gezahlt werden und nicht von den Eltern.
Abziehbar sind z. B. Studiengebühren, Fachbücher, sonstige Arbeitsmittel (Computer, Drucker etc.). Sind diese Aufwendungen höher als das laufende Einkommen, sollte der Auszubildende bzw. Student eine Steuererklärung abgeben, in der er die Aufwendungen für die Ausbildung geltend macht und die Feststellung eines sog. Verlustvortrags beantragt. Es ergibt sich dann eine Einkommensteuer von 0 €, und der die Einkünfte übersteigende Betrag der Ausbildungskosten wird als Verlust festgestellt. Der festgestellte Verlust kann dann mit späteren Einkünften aus dem erlernten Beruf verrechnet werden, sodass ein Teil der späteren Einkünfte faktisch nicht versteuert werden muss.
Da es sich regelmäßig um Fälle der sog. Antragsveranlagung handelt, kann bis zum 31. 12. 2011 noch eine Steuererklärung für 2007 abgegeben und entsprechende Kosten geltend gemacht werden. Etwas anderes gilt allerdings, wenn bereits eine Steuererklärung für das betreffende Jahr eingereicht wurde. Dann sind die Möglichkeiten eingeschränkt. Denn die Aufwendungen können in diesen Fällen nur dann nachträglich geltend gemacht werden, wenn der Steuerbescheid noch nicht bestandskräftig ist oder einen Vorläufigkeitsvermerk zu den Aufwendungen eines Erststudiums enthält.